Die Aktienrechtsrevision – Zwei Jahrzehnte warten auf den grossen Wurf?
Per 1. Januar 2023 tritt die Aktienrechtsrevision in Kraft. Damit findet ein über 20 Jahre andauernder Gesetzgebungsprozess seinen Abschluss, wobei die meisten Änderungen schlussendlich ohne grossen Widerstand und ohne breit geführte Diskussion zu geltendem Recht werden. Für Gesprächsstoff sorgten lediglich politische Aspekte wie die «Frauenquote» oder «Transparenzvorschriften », konkreten Einfluss auf die meisten Unternehmen dürften jedoch insbesondere die neuen Bestimmungen zur Flexibilisierung der Kapitalstrukturen und die Modernisierung der Generalversammlung haben. Nachfolgend fassen wir die wichtigsten Meilensteine im Gesetzgebungsprozess kurz zusammen, beleuchten die wichtigsten Neuerungen für Unternehmen und zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht.
- Lukas Bühlmann
Der Gesetzgebungsprozess – eine unendliche Geschichte
Die Aktienrechtsrevision stellt ein gesetzgeberisches Grossprojekt dar, bei welchem die verschiedensten Interessengruppen zu berücksichtigen waren und diverse Erlasse aus verschiedenen Rechtsgebieten koordiniert zu überarbeiten waren.
Der Ursprung und die Motivation Anfang dieses Jahrtausends fand die Aktienrechtsrevision ihren Ursprung, indem zahlreiche parlamentarische Vorstösse eingereicht wurden, die eine Verbesserung des schweizerischen Rechts im Bereich «Corporate Governance» forderten. Am 21. Dezember 2007 verabschiedete der Bundesrat den ersten Entwurf zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts. Entgegen der Bezeichnung betrafen die vorgeschlagenen die Änderungen nicht nur Aktiengesellschaften (AG), sondern beispielsweise auch Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und andere Kapitalgesellschaften.
Die Hauptziele des ehrgeizigen Gesetzgebungsprozesses waren die Verbesserung der Corporate Governance, die flexiblere Ausgestaltung der Kapitalstrukturen, die Aktualisierung der Ordnung der Generalversammlung sowie die Revision des Rechnungslegungsrechts.
'Abzockerei' führte zum Stillstand
Bereits im Frühjahr 2009 erfuhr die Revision jedoch einen Dämpfer, da sie aufgrund der Volksinitiative «gegen die Abzockerei» sistiert wurde. Die Revision des Rechnungslegungsrechts wurde abgespalten und trat am 1. Januar 2013 gesondert in Kraft.
Am 3. März 2013 wurde die Volksinitiative «gegen die Abzockerei» angenommen, womit die Bundesverfassung eine Bestimmung zur Vergütung der Organe börsenkotierter Unternehmen und zur Corporate Governance erhielt. Der Bundesrat erliess daraufhin die Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV), der National- und Ständerat wies die Aktienrechtsrevision an den Bundesrat zurück.
Im zweiten Anlauf zum Ziel
Ende 2014 schickte der Bundesrat die überarbeitete Gesetzesvorlage in die Vernehmlassung. Am 23. November 2016 wurde die Botschaft verabschiedet und die Behandlung in den Räten konnte starten. Doch bereits wieder drohte die Revision aufs Abstellgleis zu geraten, diesmal durch die Lancierung der Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt». Dieses Mal führte der Gesetzgeber die Aktienrechtsrevision jedoch weiter. Der neue Gesetzestext wurde im Juni 2020 von der Bundesversammlung beschlossen und die Referendumsfrist lief am 8. Oktober 2020 unbenutzt ab. Kurz darauf wurde auch die Volksinitiative abgelehnt, womit der Inkraftsetzungsprozess gestartet werden konnte.
Erste Bestimmungen sind bereits in Kraft
Wer dachte, dass die Neuerungen der Aktienrechtsrevision nach dem unbenutzten Referendum rasch eingeführt werden können, sah sich erneut eines Besseren belehrt. Vor der Inkraftsetzung mussten nämlich sämtliche Ausführungserlasse, allen voran die Handelsregisterverordnung, ans neue Recht angepasst werden. Gleichzeitig sorgte die Corona-Krise und die damit einhergehenden Massnahmen dafür, dass gewisse Bestimmungen vorab mit grosser Dringlichkeit in Kraft gesetzt werden sollten. Der Bundesrat hat sich daher wiederum für eine Aufteilung bzw. für eine Teilinkraftsetzungen der revidierten Normen entschieden.
Das Insolvenzrecht – vom Notrecht zum Gesetz
Im April 2020 wurden mit der Covid-19-Verordnung Insolvenzrecht Massnahmen zur Vermeidung von Konkursen beschlossen. Um diese zu unterstützen bzw. ins Gesetz zu überführen, wurde die in der Aktienrechtsrevision enthaltene Verlängerung der provisorischen Nachlassstundung von vier auf acht Monate, mit welcher eine erleichterte Sanierung von Unternehmen bezweckt wird, bereits im Oktober 2020 in Kraft gesetzt.
Geschlechterrichtwerte und Transparenzvorschriften seit 2021
Am 1. Januar 2021 sind die neuen Bestimmungen zu den Geschlechterrichtwerten in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in Kraft getreten. Mit dem neuen Art. 734f OR soll der Frauenanteil im Kader grosser börsenkotierter Unternehmen erhöht werden und dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung getragen werden. Künftig soll in den betroffenen Unternehmen jedes Geschlecht zu mindestens 30 Prozent im Verwaltungsrat und zu mindestens 20 Prozent in der Geschäftsleitung vertreten sein. Bei diesen Minimalwerten handelt es sich jedoch nicht um verbindliche Richtwerte, sondern es wird der aus dem angelsächsischen Recht stammende «Comply-or-Explain»-Ansatz angewendet: Werden die Schwellenwerte nicht erreicht, ist die betroffene Gesellschaft verpflichtet, die Ursachen dafür offenzulegen und Massnahmen zur Förderung des weniger stark vertretenen Geschlechts vorzuschlagen.
Ebenfalls anfangs 2021 sind neue Normen für in der Schweiz ansässige Unternehmen im Rohstoffsektor in Kraft getreten. Die neuen Offenlegungsvorschriften bezwecken die Schaffung von Transparenz sowie die Bekämpfung von Korruption und Misswirtschaft und sollen die Unternehmen zu verantwortungsvollem Handeln bewegen. Die neuen Bestimmungen gelten für Unternehmen, die von Gesetzes wegen zu einer ordentlichen Revision verpflichtet und im Bereich der Rohstoffgewinnung tätig sind. Konkret zählen die Gewinnung von Mineralien, Erdöl, Erdgas sowie der Holzschlag in Primärwäldern zu den erfassten Tätigkeiten. Aufgrund dieser Voraussetzungen ist der Anwendungsbereich der Transparenzvorschriften praktisch gering. In Art. 964f OR wird dem Bundesrat allerdings die Kompetenz eingeräumt, die Offenlegungsbestimmungen in einem international abgestimmten Verfahren auch auf den Rohstoffhandel auszudehnen.
Unternehmen, die von den Transparenznormen erfasst werden, sind verpflichtet, innert sechs Monaten nach Ende des Geschäftsjahres einen öffentlichen und elektronisch zugänglichen Bericht über alle Zahlungen an staatliche Stellen, die einzeln oder gesamthaft den Betrag von CHF 100’000 übersteigen, offenzulegen. Als staatliche Stellen zählen dabei nicht nur nationale, regionale und kommunale Behörden eines Drittlandes, sondern auch von diesen kontrollierte Unternehmen. Nebst Zahlungen für Produktionsansprüche sind insbesondere auch Nutzungsentgelte und Zahlungen zur Verbesserung der Infrastruktur erfassungspflichtig.
Wesentliche Neuerungen per 1. Januar 2023
Anfang des nächsten Jahres treten die restlichen Bestimmungen der Aktienrechtsrevision in Kraft.
Flexibilisierung des Aktienkapitals
Die Aktienrechtsrevision bringt wesentliche Flexibilisierungen des Aktienkapitals mit sich, indem Unternehmern die Möglichkeiten geboten wird, schneller und akkurater auf unternehmerische Bedürfnisse zu reagieren. Einerseits wird die Frist für die Durchführung einer ordentlichen Kapitalerhöhung von drei auf sechs Monate verdoppelt. Dem Verwaltungsrat wird somit wesentlich mehr Zeit für die Suche nach Investoren und die Führung entsprechender Verhandlungen eingeräumt.
Zudem wird die Möglichkeit zur Einführung eines Kapitalbandes geschaffen, welches die Erhöhung und Herabsetzung des Aktienkapitals erleichtern soll. Gemäss dem neuen Art. 653s OR kann der Verwaltungsrat in den Statuten dazu ermächtigt werden, das Aktienkapital während einer Dauer von längstens fünf Jahren innerhalb einer bestimmten Bandbreite (Kapitalband) zu erhöhen oder herabzusetzen. Die Grenzen des Kapitalbands sind in den Statuten festzulegen, wobei das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital höchstens um die Hälfte unter bzw. überschritten werden darf. Eine Herabsetzungsermächtigung
setzt voraus, dass die Gesellschaft nicht auf die eingeschränkte Revision der Jahresrechnung verzichtet hat.
Die zur Umsetzung des Kapitalbands notwendigen Eintragungsverpflichtungen sind Inhalt der neuen Art. 59a – 59c der Handelsregisterverordnung (HRegV). Unternehmen, die von der Möglichkeit des Kapitalbands Gebrauch machen wollen, haben unter anderem einen Hinweis auf das Kapitalband, dessen Ober- und Untergrenzen sowie das Enddatum der Ermächtigung des Verwaltungsrates im Handelsregister anzubringen. Ebenfalls eintragungspflichtig sind allfällige Beschränkungen der Ermächtigungsbefugnis.
«Durch die Flexibilisierung des Aktienkapitals wird Unternehmern die Möglichkeiten geboten, schneller und akkurater auf unternehmerische Bedürfnisse zu reagieren.»
Neu muss das Aktienkapital zudem nicht mehr zwingend auf Schweizer Franken lauten, sondern es wird zulässig, das Aktienkapital in einer Fremdwährung zu bestellen. Der Katalog der zulässigen Währungen wurde vorläufig auf die fünf meistgehandelten Währungen der Welt (neben CHF sind das USD, EUR, GBP, JPY) beschränkt. Damit ein Unternehmen das Aktienkapital in einer Fremdwährung bestellen kann, müssen drei Bedingungen kumulativ erfüllt sein: (i) Bei der gewählten Währung muss es sich um eine für die Geschäftstätigkeit wesentliche Währung handeln, (ii) das Aktienkapital in ausländischer Währung muss zum Zeitpunkt des Errichtungsaktes einem Gegenwert von mindestens CHF 100’000 entsprechen und (iii) die Buchführung und Rechnungslegung hat in derselben Währung zu erfolgen. Durch die Verbindung zum Rechnungslegungsrecht soll sichergestellt werden, dass die Wahl einer Fremdwährung sachlich begründet ausfällt.
Statuten werden dünner
Eine viel diskutierte Pflicht bei der Gründung von Gesellschaften ist die sogenannte beabsichtigte Sachübernahme, gemäss welcher die Übernahme von Vermögenswerten von Aktionären oder nahestehenden Personen in den Statuten offengelegt werden müssen. Diese Pflicht entfällt vollständig, womit die Diskretion hinsichtlich der an der Gründung beteiligten Personen erhöht und der Gründungsprozess wesentlich verschlankt wird.
Ebenfalls nicht mehr in die Statuten aufgenommen werden müssen Bestimmungen zur Einberufung der Generalversammlung, zum Stimmrecht der Aktionäre, sowie zum Verwaltungsrat bzw. zur Geschäftsführung und zur Revision. Diese Bestimmungen werden durch das Gesetz geregelt und müssen in den Statuten nicht mehr wiederholt werden.
Die virtuelle Generalversammlung wird Realität
Längst überfällig – das zeigt insbesondere auch die Einführung entsprechender Bestimmungen mittels COVID-Notrecht – sind die neuen Bestimmungen zur Durchführung der Generalversammlung. Diese kann ab 2023 elektronisch einberufen werden, zudem ist neben der gemäss geltendem Recht zwingenden Präsenzversammlung auch die virtuelle Generalversammlung oder die Beschlussfassung auf schriftlichem Weg zulässig. Damit wird die Durchführung der Generalversammlung wesentlich einfacher und die Zutrittsschwelle gesenkt, allerdings sind zum Schutz der Gesellschafter - zumindest für die rein virtuelle Generalversammlung - die entsprechenden Möglichkeiten in den Statuten vorzusehen. Unternehmen, die von allen neuen Möglichkeiten Gebrauch machen möchten, müssen somit eine öffentlich zu beurkundende Statutenrevision vornehmen.
Gemäss dem neuen Recht sind Gesellschafter bereits mit einer Beteiligung von 5 % (bisher 10 %) zur Traktandierung von Beschlüssen bzw. zur Stellung von Anträgen befugt. Auskünfte ausserhalb der Generalversammlung können neu mit einer Beteiligung ab 10 % verlangt werden, der Verwaltungsrat hat diese Anfragen innert vier Monaten zu beantworten. Ein Einsichtsrecht in die Geschäftsbücher besteht neu ab einer Beteiligung von 5 %.
Gewinnverwendung auch während des laufenden Geschäftsjahres
Das neue Recht bringt schliesslich auch eine neue Möglichkeit mit Blick auf die
Gewinnverwendung. Zwischendividenden aus dem laufenden Ergebnis können neu während des laufenden Geschäftsjahres beschlossen und ausgerichtet werden. Hierfür ist ein
Zwischenabschluss zu erstellen und ein Beschluss in einer ausserordentlichen Generalversammlung zu fassen. Eine Prüfung durch die Revisionsstelle ist nötig, ausser es besteht ein Opting Out oder es stimmen sämtliche Gesellschafter zu, ohne dass Forderungen von Gläubigern gefährdet wären.
Wie profitiert mein Unternehmen von der Revision?
Statutenbestimmungen, welche mit dem neuen Recht nicht vereinbar sind, sind noch bis 31. Dezember 2024 gültig. Um von den neuen Bestimmungen in vollem Umfang Gebrauch machen zu können, sind die Statuten vorgängig anzupassen. Auch wenn Anpassungen an das neue Recht somit nicht zwingend notwendig sind, empfehlen wir Ihnen, die Statuten Ihres Unternehmens zeitnah einer Prüfung zu unterziehen, damit Sie von den Vorteilen der neuen Gesetzesbestimmungen profitieren können. Unsere Rechtsanwälte stehen Ihnen hierfür sowie für sämtliche weiteren gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen gerne zur Verfügung.
«Wir empfehlen Ihnen, die Statuten Ihres Unternehmens zeitnah einer Prüfung zu unterziehen, um von den Vorteilen der neuen Gesetzesbestimmungen profitieren zu können.»