Das Bundesgericht hebt die Praxis zum «wirtschaftlichen Neubau» auf. Welche Auswirkungen hat diese Praxisänderung?

Wer in der Vergangenheit eine Liegenschaft erworben und diese umfassend renoviert oder gar totalsaniert respektive um- und ausgebaut hat, dem konnte unter Umständen aufgrund der Praxis zum «wirtschaftlichen Neubau» der Abzug der Liegenschaftskosten komplett verwehrt werden. Diese Praxis hat das Bundesgericht in einem Entscheid vom Februar 2023 aufgehoben und bereits in weiteren Entscheiden bestätigt.

Abzugsfähigkeit von Liegenschaftskosten

Gemäss Art. 32 Abs. 2 DBG können die Unterhaltskosten bei Liegenschaften im Privatvermögen und die Kosten der Instandstellung von neu erworbenen Liegenschaften bei der Einkommenssteuer in Abzug gebracht werden. Seit der Inkraftsetzung dieser gesetzlichen Bestimmung am 1. Januar 2010 (zur Einschränkung der so genannten «Dumont-Praxis») sollen alle Kosten, die dazu dienen, einen früheren Zustand einer Liegenschaft wieder herzustellen, als Unterhaltskosten abgezogen werden können. Auch nach dieser Gesetzesänderung wurde Eigentümern von Liegenschaften der Abzug von Unterhaltskosten bei umfassenden Renovationen aber häufig unter dem Hinweis auf die Praxis zum «wirtschaftlichen Neubau» verwehrt. In verschiedenen Ausprägungen folgten die kantonalen Praxen der Logik, dass eine Totalsanierung gleich wie ein Abbruch einer Liegenschaft mit einem anschliessenden Neubau, eben als «wirtschaftlicher Neubau», zu beurteilen sei. Die Anwendung dieser Praxis hatte zur Folge, dass alle Kosten als wertvermehrende Investitionen qualifiziert wurden und damit nicht von den steuerbaren Einkünften abgezogen werden konnten (gegebenenfalls aber als Anlagekosten für Zwecke der Grundstückgewinnsteuer geltend gemacht werden können).

Obwohl die Praxis des «wirtschaftlichen Neubaus» in einigen Facetten auffällig stark der
überholten «Dumont-Praxis» gleichkam, wurde sie vom Bundesgericht in Entscheiden bis Mitte 2022 gestützt. In der Lehre erntete diese Haltung des Bundesgerichts häufig Kritik.

Praxisänderung des Bundesgerichts

Erfreulicherweise hat das Bundesgericht im Urteil 9C_677/2021 vom 23. Februar 2023 seine Praxis geändert und das steuerrechtliche Konstrukt des «wirtschaftlichen Neubaus» aufgegeben. Im betroffenen Fall hatte das Bundesgericht zu beurteilen, ob die Kosten einer umfassenden Sanierung eines stark renovationsbedürftigen Bauernhauses für die Belange der direkten Bundessteuer und der Staats- und Gemeindesteuer abziehbar sind. Das Bundesgericht erkannte zum «wirtschaftlichen Neubau», dass «Eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung eines Totalsanierungs-, Renovierungs- oder Umbauprojekts auf einer neu erworbenen Liegenschaft, aufgrund derer der einkommenssteuerliche Kostenabzug schematisch komplett und damit auch für Kostenbestandteile verweigert wird, die bei individueller Betrachtung aufgrund ihrer objektiv-technischen Natur eigentlich werterhaltender Natur wären, […] weder mit dem Wortlaut noch mit der Entstehungsgeschichte von Art. 32 Abs. 2 DBG vereinbar ist». Dies hat zur Folge, dass künftig keine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung für Totalsanierungs-, Renovierungs- und Umbauprojekte zur Anwendung gelangt. Stattdessen ist auch in Fällen von umfassenden Renovationen auf die objektiv-technische Unterscheidung in werterhaltende Unterhaltskosten und wertvermehrende Investitionskosten abzustellen.

Welche Auswirkungen sind aufgrund dieser Änderung zu erwarten?

Die neue bundesgerichtliche Rechtsauslegung wird weitreichende Konsequenzen haben. Insbesondere jene kantonalen Steuerbehörden, welche die Praxis zum «wirtschaftlichen Neubau» streng und konsequent angewendet haben, werden ihre Praxis massgeblich ändern müssen. Die neue Praxis des Bundesgerichts wird den Fokus auf die objektiv-technische Unterscheidung zwischen wertvermehrende Investitionen und abzugsfähigen, werterhaltenden Unterhaltskosten lenken. Ob von dieser Entwicklung auch die bisherigen Massstäbe zur Bestimmung des Umfangs an abziehbaren Unterhaltskosten tangiert werden, wird sich in der Praxis zeigen. Aus Sicht der Steuerpflichtigen empfiehlt es sich, die Liegenschaftskosten im Rahmen der Steuerdeklaration sorgfältig und detailliert nach Kategorien aufzuschlüsseln. Die Kategorisierung sollte dabei auch mit Blick auf die gesetzlichen Änderungen im Bereich der Investitionen, welche dem Energiesparen und dem Umweltschutz dienen (vgl. dazu unseren Artikel vom 10. August 2022), vorgenommen werden.